Ein halbes Jahr im Friedensdorf International

Das Friedensdorf International hat es sich zur Aufgabe gemacht, kranke und verletzte Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten zur vorübergehenden medizinischen Versorgung nach Deutschland zu holen, wenn ihnen in ihrer Heimat nicht ausreichend geholfen werden kann. Die Kinder werden kostenlos in Krankenhäusern in ganz Deutschland behandelt und wohnen während der Rehabilitationsphase in der Heimeinrichtung des Friedensdorfes in Oberhausen. Im Anschluss werden alle Kinder wieder zu ihren Familien in ihre Heimatländer zurückgebracht, wo sie bei Bedarf noch weiterhin vom Friedensdorf mit Medikamenten und Verbandsmaterial versorgt werden. Neben dieser Einzelfallhilfe unterstützt das Friedensdorf durch Projektarbeit verschiedene Länder bei der Verbesserung der medizinischen Infrastruktur und will durch friedenspädagogische Arbeit in Deutschland soziales Bewusstsein und Engagement fördern. Dabei besteht die Möglichkeit von Praktika, wie Lea Müller, ehemalige Annenserin, eines absolviert hat. Ihren Erfahrungsbericht stellt sie unserer Schule zur Veröffentlichung zur Verfügung.

Frieden – ein großes Wort. Doch in Deutschland mussten wir uns als Kinder wenig Gedanken darüber machen. Frieden im Heimatland – das wünschen sich die Friedensdorfkinder ebenso, wie natürlich wieder gesund zu Mama und Papa heimzukehren. Denn jedes Kind im Friedensdorf hat seine eigene Geschichte zu erzählen, die es aus seiner Heimat für mehrere Monate zur medizinischen Behandlung nach Deutschland führt. Ich bin hier an einem einzigartigen Ort gelandet und werde im nächsten halben Jahr Erfahrungen sammeln, die man in dieser Art nur hier machen kann. Mit den ersten Sonnenstrahlen mache ich mich auf den Weg zu den Häusern „Rot 1-3″, wo die kleinsten unserer Schützlinge wohnen. Kaum öffne ich die Türe, klammern sich die Kleinen an meine Beine und begrüßen mich stürmisch. Diese ehrlich gemeinte Freude der Kinder darüber, dass ich komme, und ihr „Lea, du viele gutie” (was im Friedensdorf so viel heißt wie: Du bist lieb) zeigen mir jeden Tag aufs Neue, warum meine Arbeit hier so wichtig ist. „Eins – zwei – drei – FRIIIIIIEDEEEEEN!! Guten Appetit – danke!”, rufen rund 150 Kinder vor jedem Essen als religionsneutrales Tischgebet durch den Speisesaal des Friedensdorfes. Mich bewegt dieser Moment immer wieder. Die Welt wirkt so klein, wenn sich alle Kinder aus Zentralasien und Afrika und mittendrin noch die deutschen und japanischen Mitarbeiter an den Händen halten. Das gemeinsame Essen zeigt mir jedes Mal auf besondere Weise, wie einfach und kinderleicht Frieden sein kann. Kinder haben keine Vorurteile, sie schauen nicht auf Hautfarbe oder körperliche Einschränkungen. Davon können Erwachsene noch viel lernen. Ein kleiner Junge bringt einem anderen seine Flüssignahrung und mir gegenüber beobachte ich ein kleines Mädchen, das ganz selbstverständlich und ohne darüber nachzudenken ein zweites Brot schmiert und ihre ältere Freundin damit füttert, weil diese keine Hände hat. Klein und Groß hilft sich gegenseitig und gemeinsam schafft man hier alles.

Nach dem Essen laufe ich über den Dorfplatz und höre von überall her lautes Lachen, denn das kann wirklich jedes Kind im Friedensdorf. Die Lebensfreude ergreift und erfüllt jeden und man ist fasziniert von der Unbeschwertheit der Kinder. Außenstehende fragen sich oft, ob die Kinder nicht deprimiert über ihre Krankheiten sind. Doch wer auch nur einmal einen Fuß ins Friedensdorf setzt, wird sehen, dass die Kinder viel zu sehr damit beschäftigt sind, ihr Leben zu genießen, glücklich zu sein und der Krankheit einfach keinen großen Platz im Leben zuzugestehen. Trotzdem ist es mittlerweile an der Zeit, ein paar Kinder in die Reha zu bringen, wo Verbände gewechselt und Wunden versorgt werden und im Nebenraum kräftig bei der Krankengymnastik trainiert wird. In der Zwischenzeit kümmere ich mich mit den Mitarbeitern und den anderen Praktikanten um die Kinder: Wir malen, basteln, spielen, machen Musik, gehen auf den Spielplatz oder in die Turnhalle und manchmal machen wir sogar einen Spaziergang, gehen schwimmen oder backen Plätzchen und Muffins. Für die etwas Größeren gibt es zum einen das Lernhaus, wo sie Grundlagen im Lesen, Schreiben und Rechnen lernen, zum anderen wird von ehrenamtlichen Mitarbeitern eine Holzwerkstatt und eine Nähstube betrieben, wo die Kinder handwerkliche Fähigkeiten, die in den Heimatländern sehr wichtig sind, erwerben können.

Nach meiner Schicht bin ich ganz schön geschafft, aber trotzdem setzte ich mich noch zu ein paar angolanischen Mädchen, die sich die bunteste Wolle in ihre Haare einflechten und damit wunderschöne Frisuren kreieren. Mir scheint die Sonne ins Gesicht und ich höre aus dem CD-Player das Lieblingslied der Friedensdorfkinder und habe das Gefühl angekommen zu sein:

„Glaub mir irgendwann

Wird die Liebe regieren

Wir haben nichts mehr zu verlieren

Die Zeit lässt die Wunden heilen

Du bist genau wie ich und nicht allein

Ich bin nah bei dir, gemeinsam schaffen wir Großes hier [ … ]

Komm wir bring’n die Welt zum Leuchten

Egal woher du kommst

Zu Hause ist da, wo deine Freunde sind

Hier ist die Liebe umsonst!”

Das Friedensdorf bietet jungen Menschen die Möglichkeit eines Praktikums im Heimbereich, in der Reha, dem Lernhaus, der Küche, dem Bildungswerk, der Öffentlichkeitsabteilung, dem Fahrdienst und in der Hausmeisterei. Praktikanten sollten mindestens drei Monate (im Heimbereich und in der Reha mindestens sechs Monate) Zeit mitbringen und erhalten auf dem Gelände in einer WG mit den anderen Freiwilligen freie Kost und Logis. Das Friedensdorf freut sich auf euch! Weitere Informationen findet ihr unter https://www.friedensdorf.de/Praktikum.html

Der Transport der Kinder aus ihren krisengeschüttelten Heimatländern zur medizinischen Versorgung in Europa, ihre Unterbringung, Verpflegung und Betreuung, orthopädische Hilfsmittel – all das ist nötig, um effektive Hilfe für die jungen Opfer von Kriegen und Krisen zu leisten. Um dies zu tun, braucht es neben Idealismus vor allem eines – es braucht Geld. Das Friedensdorf wird fast ausschließlich aus Spenden finanziert. Dieses Geld kommt erfahrungsgemäß nicht durch einige wenige Großspenden zusammen. Es sind die zahlreichen kleineren Spenden, die diese Arbeit ermöglichen. Daher ist jeder Spendenbetrag willkommen. Jeder Euro wird gebraucht! https://www.friedensdorf.de/Spenden.html

(Lea Müller, ehemalige Annenserin, Abiturjahrgang 2015)