Worte finden für das Unfassbare – Exkursion nach Dachau mit Schreibwerkstatt auf der Blutenburg

Am Morgen des 13.02.2019 trafen sich 42 Schülerinnen und Schüler der Klassen 9P und 9L mit Frau Peter, Frau Kraft und Herrn Port, um gemeinsam mit dem Bus nach Dachau zu fahren. Dort erwartete sie eine Führung über das Außengelände der KZ-Gedenkstätte. Mirjam Spandri, Volontärin der Gedenkstätte, hatte für die einzelnen Stationen passende Texte ausgewählt, die von den Schülerinnen und Schülern der 9P wechselweise vorgetragen wurden. Durch den Vortrag von Gedichten und epischen Texten der ehemaligen Lagerinsassen Edgar Kupfer-Koberwitz, Edmont Michelet und Walter Buzengeiger wirkten das ehemalige Jourhaus, der Schubraum, der Bunker, die Bewachungsanlage, die Totenkammer und die Baracke noch authentischer. Die zynische Lüge „Arbeit macht frei“ im Eingangstor veranlasste Kupfer-Koberwitz zu einem entlarvenden Sonett aus der Häftlingsperspektive:

Die Lüge im Tor

„Arbeit macht frei“ ist mitten im Tor

In Eisen geschmiedet zu sehn,-

Die Augen halten staunend davor,

jedes Mal wenn durchs Tor wir gehen.-

Arbeit macht frei,- so lügen sie

Arbeit macht frei,- so trügen sie,

Arbeit macht frei,- doch zahlen sie

Arbeit mit Tod zurück.-

Arbeit macht frei,- das ist der Hohn,

Arbeit macht frei,- o Deutschlands Sohn,

Arbeit macht nicht frei!-

So sieh es doch, was alle sehn.

„Der Tod macht frei!“- „das sollte stehn:

„Tod löst die Tyrannei“

(Edgar Kupfer-Koberwitz: Dachauer Tagebücher. Aufzeichnungen des Häftlings 24814, München 1997, S. 540)

Nina Schiffner, die Gästeführerin, kam im Bunker auf die Geschichte ihres Großvaters zu sprechen, der einer der ersten Häftlinge in Dachau war, welches 1933 eröffnet wurde. Da er noch vor dem Zweiten Weltkrieg als Regimekritiker (Kommunist) inhaftiert wurde, hatte er das Glück, an einem Gnadentag entlassen zu werden. Dennoch musste er neun Tage Dunkelhaft im Bunker erdulden, unter Bedingungen, die man sich nicht vorstellen kann und will. Die Situation der Häftlinge verschärfte sich nach Kriegsbeginn zusehends. Gut nachvollziehen lässt sich das in der Rekonstruktion der Baracke, in der die unterschiedlichen Aufteilungen der Stuben begehbar sind. Schiffner schilderte drastisch die Schikane-Maßnahmen, die zu der räumlichen Enge, der Kälte, dem Hunger und der völlig fehlenden Privatsphäre hinzukamen. So mussten jeden Morgen die Strohmatratzen und die Betten akkurat rechtwinklig geformt, die Karos dabei parallel ausgerichtet werden. Bei geringstem Regelverstoß wurde das gesamte Bettzeug aus dem Fenster geworfen und blieb bis zum Abend bei jeder Witterung dort liegen:

„Die gesamte Ordnung im Block ist darauf ausgerichtet, den Menschen ständig das Gefühl ihrer Bedeutungslosigkeit, die Notwendigkeit, sich dem Zwang zu fügen, vor Augen zu halten. Die Handtücher müssen dreigefaltet im Spind hängen, sie werden niemals trocken, aber die Ordnung ist gewahrt. Sofort nach dem Wecken müssen wir Betten bauen, eine ganze Wissenschaft hier in Dachau. Die Strohsäcke dürfen nicht die geringste Ausbuchtung zeigen, die Pölster müssen ausgerichtet sein, selbst das Karomuster auf dem Bezug muss parallel mit den Linien geführt sein.“ (Hermann Langbein: Die Stärkeren. Ein Bericht aus Auschwitz und anderen Konzentrationslagern, Köln 1982, S.60)

Allerdings gab es noch weitere drakonische Strafmaßnahmen, welche im Schubraum dokumentiert werden. Dort mussten sich die Neuankömmlinge völlig entkleiden und alle persönlichen Gegenstände abliefern. Dies wurde akribisch dokumentiert, für den Fall, dass der Häftling wieder entlassen werden sollte und seine persönliche Habe zurückerhielt. Die Bürokratiewut der SS zeigt sich auch darin, dass die Hinterbliebenen der Opfer schriftlich benachrichtigt wurden und auf Verlangen und gegen Bezahlung sogar die Asche der Toten erhalten konnten. Da die Verbrennungen massenweise stattfanden, war es natürlich unmöglich, die richtigen Überreste zu finden. Diese wurden, wie alles, was den Toten abgenommen wurde, zu Geld gemacht und als Dünger für die Felder verkauft. Alle diese Maßnahmen hatten das Ziel, den Lagerinsassen ihre Würde zu nehmen und ihnen ihre Wehrlosigkeit vor Augen zu führen. Um der ständigen Willkür und der Aussichtslosigkeit zu entkommen, gab es viele, die „in den Zaun gingen“, der unter Strom stand und von den schwerbewaffneten Wachen gesichert wurde. Nina Schiffner beendete die Führung mit dem bekannten Text von Martin Niemöller, der die Folgen der Passivität der Mitbevölkerung zeigt:

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der demonstrieren konnte.“

Im Anschluss an die Führung fuhren beide Klassen nach einer kurzen Mittagspause mit dem Bus nach Pasing zum Schloss Blutenburg, in dem das weltweit größte Archiv von Kinder- und Jugendbüchern und diverse Museen, u.a. das Erich-Kästner-Museum und eine Brüder-Grimm-Ausstellung, untergebracht sind, welche von der Klasse 9L besichtigt wurden. Die 9P durfte an einer Schreibwerkstatt unter der Leitung des Lektors Frank Griesheimer teilnehmen, der einige bekannte Kinder- und Jugendbuchautoren betreut (hat), darunter die im Januar verstorbene Miriam Pressler, Klaus Kordon oder auch Michael Endes posthum erschienenes Fragment über den Raubritter Rodrigo Raubein. Momentan auf der Spiegel-Bestsellerliste steht die von ihm lektorierte Neuauflage des Tagebuchs der Anne Frank, welches von Miriam Pressler in erweiterter Fassung neu übersetzt wurde. Nach einer kurzen Einführung sollten die Schülerinnen und Schüler die Erfahrungen am Vormittag in ein Wort fassen. Auffallend an der Sammlung war die Häufigkeit von Abstrakta wie Rassen, Entsetzen, Demütigung, aber auch entmenschlicht, unmenschlich und menschenverachtend. Danach stellte Herr Griesheimer den Jugendlichen zwei Schreibaufgaben zur Wahl. Sie konnten entweder einen Brief aus dem KZ schreiben oder einen Auszug aus Agnes Sassoons autobiografischem Zeugnis „Überlebt“ fortsetzen. Dieser endete mit den Worten: „Im ‚Umkleideraum‘ erblickte ich Alex zum ersten Mal.“ Nach 25 Minuten Schreibzeit und einer kurzen Pause hatten die Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit, ihre Texte lektoriert und kommentiert zu bekommen. Interessant waren die unterschiedlichen Zugangsweisen, der Wechsel der Perspektiven und teilweise unerwartete Handlungsverläufe. Am Ende durften die jungen Autorinnen und Autoren ihre Texte zur Archivierung in der Blutenburg zur Verfügung stellen.

Begleitet wurden beide Einheiten von den beiden Volontärinnen Élodie Malanda und Mirjam Spandri, die eine bessere Vernetzung erreichen wollen. Wünschenswert wäre, dass dieser Workshop insgesamt mehr Bekanntheit erreicht, denn bislang sind nur zehn der jährlich ca. 1600 Führungen in Dachau mit einer Schreibwerkstatt verknüpft, welche den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit bietet, das Erlebte unmittelbar zu verarbeiten.

(Andrea Peter)